Dorian Schmidt
Lebenskräfte – Bildekraefte
Methodische Grundlagen zur Erforschung des Lebendigen

         
         
Dorian Schmidt Lebenskräfte – Bildekraefte
Methodische Grundlagen zur Erforschung des Lebendigen
  Verlag Freies Geistesleben
ISBN 978-3-7725-1481-4
213 Seiten
19,90 €
         

Leseprobe aus dem Kapitel "Beobachtungen (S. 67 ff.)"

     
Beobachtungen

Worauf treffen wir nun, einer Pflanze zugewandt, in der beschriebenen Weise vorbereitet und mit etwas Glück, was die äußeren Bedingungen angeht? – Auf Bewegung! Dort um die Pflanze herum rührt sich etwas. Natürlich nicht ein Pflanzenteil, auch kein Insekt, überhaupt nichts Physisches, Begrenztes, Verdichtetes, Materielles. Nein, die Umgebung der Pflanze ist von Bewegungen durchzogen.

Dieser erste Eindruck ist nur vergleichbar mit einem Luftzug, einem Windhauch: Wir sehen ihn nicht, empfinden ihn nur (mit anderen Sinnesorganen), und er ist ungemein flüchtig. So auch die Bewegungen um die Pflanze: zart, flüchtig, kaum zu bemerken, kurz vollzogen und schon wieder vorbei, vielleicht abgelöst von anderen Bewegungen, die ebensowenig deutlich sind – alles kaum greifbar. Wenn man jetzt nicht im Hintergrund seines Denkraumes* seine wachen Gedanken bereit hat, die diesen so unbedeutenden, so zarten, flüchtigen und auch fremden Eindrücken ihre wahre Bedeutung zumessen und zu halten verstehen, dann wendet man sich wieder von ihnen ab, zurück zu den kräftigen Sinneseindrücken, die man so wohltuend angenehm gewöhnt ist, und bemerkt dieses Abwenden vielleicht noch nicht einmal.

Können aber unsere Gedanken der Beobachtung die rechte Bedeutung zumessen und uns zu weiterer Anstrengung und Durchhaltebemühungen befeuern – denn davon hängt der Fortschritt an dieser Stelle ab –, dann können wir durch wiederholte Hinwendung zur Pflanze, durch gesteigerte Konzentration einige genauere Eindrücke der Bewegungen erhalten. Es zeigt sich zunächst, dass die Bewegungen sich in der Beobachtung wiederholen. Dabei durchlaufen sie eine bestimmte Form. Dazu kommen weitere Eindrücke: Die Bewegungen haben Kraft. Sie haben gezielte, gerichtete, formende Kraft.

Sehen wir einen Vogel durch die Luft fliegen, wissen wir so gut wie nichts von den physikalisch-dynamischen Wechselwirkungen zwischen Flügel und Luft. Das können wir uns nur erschließen durch Erfahrungen mit Sturm und Wind am eigenen Körper oder mit angefertigten Modellen wissenschaftlich denkend uns erarbeiten. Aber direkte Wahrnehmung haben wir keine, ebensowenig wie wir die Kräfteverhältnisse in der Statik eines Baumes oder Hauses wahrnehmen können.

Das ist bei der Wahrnehmung lebendiger Kräfte ganz anders. Jede Bewegung nehmen wir unmittelbar wahr als kraftgeladen, wir erleben ihr "Schaffen", so seltsam es klingt, ihr "Fleißig-Sein". Es sind demgegenüber die Kräfte des Physischen – sei es ein noch so gewaltiger Stoß im Bereich der Physik, eine noch so effektvolle chemische Reaktion, eine noch so kunstvoll kombinierte Kette von elektrischen Impulsen im Bereiche der Technik – etwas außerordentlich Stumpfes, Taubes und Monotones. Das Kraftvolle in den lebendigen Strömen ist zunächst kaum, bei Vertiefung der Beobachtung immer stärker wahrzunehmen und kann bei intensiver Zuwendung so eindrücklich werden, dass man sich vor einer zu starken Beeinflussung der eigenen Lebenskräfte schützen muss.

Ein weiterer Eindruck ergibt sich so: Die kraftenden. formenden Bewegungen haben einen Charakter, einen für jede Bewegung typischen Charakter. Anders formuliert: Der Charakter einer Bewegung setzt sich zusammen aus seiner Bewegungsform und seiner "Stimmung", in die diese Bewegung getaucht ist. Beides zusammen könnte man als "Geste" bezeichnen. Auf der folgenden Seite seien einige Beispiele gegeben.

Die Bewegungsformen sind oft leicht zu erkennen und zu übermitteln, die Stimmungen sind – wie die Beispiele schon zeigen – nicht leicht zu benennen und auch in der Beobachtung bisweilen sehr schwer zu ergründen. Hier zeigt sich sehr schnell die extreme Beschränktheit des menschlichen Fassungsvermögens für solche Erfahrungen. Nur durch oft wiederholte Zuwendung und liebevolle Hingabe bilden sich beim Beobachter neue Haltungsformen aus, mit denen er die vielen ungewohnten Charaktere aufnehmen und begreifen kann.

Einen ersten Schritt vollzieht der Beobachter, wenn er hinter der physischen Welt, im Verblassen der sinnlichen Eindrücke, die strömenden schaffenden Bildekräftebewegungen hereinwirken sieht. In dieser Welt kann er sich lange aufhalten, immer neue, immer kompliziertere Bildekräftekomplexe sich erarbeiten. Die erstaunlichsten Dinge wird er an den einfachsten Pflanzen erleben können, die verblüffendsten Querverbindungen und &AUuml;bereinstimmungen wird man an weit entfernt liegenden Naturgegebenheiten finden.

Ein weiterer Schritt ist nötig, um von der Welt der Bildekräfte in die Welt der (Elementar-)Wesen zu gelangen. Durch weitere Vertiefung der Beobachtung, weitere Steigerung der Konzentration und Ausdauer erscheinen dann Wesenheiten. Einzelne oder wenige oder nicht zählbar viele Wesen sind in diesem Bewegen, Strömen, Kraften anwesend, wohnen da, bevölkern diese Kräftewelt. Wesen mit einem seelischen Kern – nicht mit einer veränderbaren, gestaltbaren Seele wie beim Menschen – leben und schaffen innerhalb der Bildekräfte. Die kraftende Seite der Bildekräfte und ihre seelische Durchwesung gehören zusammen wie die zwei Seiten einer Münze. Man kann sie so oder so herum anschauen. Doch ist die Wahrnehmungsart für die Kräfte eine andere als für die Wesen. Der Wechsel von der einen in die andere ist eine Art Umstülpen, Durchstoßen oder Hindurchgehen, jedenfalls ein diskontinuierlicher &AUuml;bergang.




*Gemeint ist der ätherische Denkraum, nicht die Gehirnschale. Die Entdeckung des eigenen Denkraumes ist sozusagen eine Nebenwirkung der Beobachtungsbemühungen.






Die scheinbare Vertrautheit einiger dieser Zeichnungen darf nicht zu dem Irrtum verleiten, man würde diese Formen so in der Beobachtung sehen. Es ist ganz anders: Man erlebt lebendige Kräfte in diese Formen hineinschaffend.

         
         
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