Klaus Erhardt
Bardou – Ein Pionierleben im Haut Languedoc

         
         
Klaus Erhardt Bardou – Ein Pionierleben im Haut Languedoc erzählt von Klaus Erhardt, aufgeschrieben von Werner Friedl

anabas Verlag, Gießen
ISBN 3-87038-367-4
126 Seiten
30,- €
         

Leseprobe aus dem Kapitel "Die ersten Jahre"


Bardou 1975
(anklicken zum Vergrößern)
     
Wir empfanden es als etwas Besonderes, dass wir auf Vorhandenes aufbauen konnten. Es war ein beglückendes Erlebnis für uns Stein für Stein auszugraben, das ganze Dorf war ein Gesamtkunstwerk, das nach und nach von uns entdeckt wurde. Unsere Euphorie verstärkte sich von Monat zu Monat, unsere kühnsten Träume wurden nicht nur wahr, sondern weit übertroffen.

Aber es war in diesen ersten Monaten und Jahren auch sehr beschwerlich. Es gab weder eine Wasserleitung, noch Kanalisation oder Toiletten, keinen elektrischen Strom, und von Telefon oder anderen Segnungen moderner Technik wagten wir nicht einmal zu träumen. Aber wir hatten ein jahrelanges Leben im VW-Bus hinter uns, ohne die geringsten Bequemlichkeiten, und daher empfanden wir unsere neue Heimat trotz ihrer Kargheit und Einfachheit als luxuriös. Komfort, wie man ihn üblicherweise versteht, war uns nicht wichtig. Unser Komfort bestand aus der guten Luft, dem gutem Wasser, der guten Gesellschaft. Fließendes heißes Wasser und dergleichen sind Krücken, gut für ältere Herrschaften; für junge und dynamische Menschen sind sie doch eher hinderlich. Wir hatten alles Notwendige und noch viel mehr dazu.

Etwas anders liegt der Fall beim elektrischen Strom. Radio und Licht sind weniger wichtig, aber eine Waschmaschine, ein Kühlschrank und eine Gefriertruhe gehören für einen Landhaushalt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum täglichen Leben. Dieses Thema sollte uns noch sehr lange beschäftigen und uns in eine Jahrzehnte lange Auseinandersetzung mit den Behörden bringen.

Wasserleitungen kannte man in Bardou nicht. Die alten Bauern hatten in früheren Zeiten das Wasser in Krügen aus der Quelle am unteren Teil des Dorfes geholt, wo der alte Maultierpfad von Mons das Dorf erreicht. In sehr trockenen Sommern versiegte aber auch diese einzige Wasserquelle, und man musste etwa einen Kilometer über den Col de Grousset bis zum Ruisseau de la Roque laufen, um an das nächste Wasser zu gelangen.

Auch Toiletten waren unbekannt. Statt ihrer gab es den Wald, und bei schlechtem Wetter ging man in den Stall im unteren Geschoss, wo in einer Ecke das Schwein untergebracht war. Die Frauen benutzten einen Nachttopf. Als wir hierher kamen, lösten wir das Toilettenproblem zunächst ebenfalls meistens im Wald, oder, wenn das Wetter gar zu schlecht war, mit Eimern. Anschließend ging man mit Eimer und Schaufel in den Wald und vergrub alles.

Während unserer Reisen durch Länder der so genannten dritten Welt habe ich noch ganz andere hygienische Verhältnisse kennen gelernt. Verglichen mit dem, was ich von Nordafrika und zum Teil auch aus Indien kannte, waren die Umstände, die wir in Bardou vorfanden, durchaus zivilisiert. Eine Weile konnten wir hier gut so lebten wie es die Einheimischen getan hatten. Als mit der Zeit aber immer mehr Menschen ins Dorf kamen – wir hatten bald sommers wie winters etwa dreißig bis vierzig Gäste im Dorf – waren diese Gebräuche nicht länger aufrechtzuerhalten. Auch hatte ich allmählich genug, immer die Toilettenpapiere, die der Wind über das Dorf verteilte, einsammeln zu müssen.

So wurde zunächst eine der Ruinen zur Toilette ausgebaut. Bald mussten wir aber feststellen, dass das keine zufrieden stellende Lösung war. Der Ort befand sich inmitten des Dorfes und es begann zu riechen. Also baute ich ein Stück außerhalb der Häuser eine "türkische" Toilette mit einfacher Eimer-Wasserspülung. Als Mitte der 70er Jahre zwei Kanadier als Helfer bei uns waren, kam ihnen die Idee, ein Plumpsklo im Stil ihrer Heimat in der Nähe des Schafstalls zu bauen. Sie erzählten dazu lustige Geschichten, wie im Winter bei ihnen die Leute auf solchen Sitzgelegenheiten festfroren. In einer kanadischen Zeitschrift gibt es einen sehr schönen lyrischen Artikel über Bardou, den Sarah, eine spätere Helferin, verfasst hatte, und darin zieht sich dieses "Canada House" wie ein roter Faden hindurch. Bald danach entstand unterhalb des Lower Hostel ein weiteres Häuschen. Australische Helfer, die auf die gute Idee der Kanadier eifersüchtig waren ("Wir wollen auch ein Haus!"), haben dabei mitgeholfen und zu ihrem Andenken das "Down under"-Schild daran befestigt. Franz, von dem ich im Kapitel "Gäste und Helfer" noch erzählen werde, hat in späteren Jahren noch zwei Toiletten dazu gebaut.

In unser eigenes Haus – das ehemalige Haus Bonnets, in das wir nach drei Jahren schließlich einzogen – bauten wir eine Toilette mit Wasserspülung ein und eine Dusche, die aber zunächst aus nichts anderem als einem Wasserschlauch, der aus der Decke herunterhing, bestand. Das Abwasser ging in septische Tanks, in denen es zersetzt und gefiltert wurde. Um im Sommer alle Gäste ausreichend mit Wasser versorgen zu können, war es nötig, neben der Quelle am unteren Dorfrand eine weitere Quelle zu suchen. Wir fanden sie etwa vier- bis fünfhundert Meter oberhalb von Bardou im sommertrockenen Bachbett des Ruisseau de la Bayssière. Sie führt in den meisten Jahren auch während der heißen Zeit Wasser, in sehr trockenen Sommern versiegt allerdings auch diese Quelle.

Für eine Wasserleitung hatten wir zunächst kein Geld. In unserem ersten Sommer, 1968, erhielten wir von einem Filmteam, dem wir Bardou als Kulisse zur Verfügung stellten, 8.000 Francs, von denen wir das Material für eine Leitung bezahlen konnten. (Über den Film, der damals entstand, erzähle ich an anderer Stelle mehr.) Auf provisorische Art, also mit Hilfe einfacher Plastikschläuche, durch die das Wasser von selber mit Hilfe der Schwerkraft nach unten floss, hatten wir von Anfang an in einigen Häusern "fließendes Wasser". Da wir keinen Stromanschluss hatten, war es nicht möglich, strombetriebene Systeme zur Abwasserbeseitigung zu installieren. Aus diesem Grund haben die Häuser keine individuellen Toiletten. Inzwischen gibt es aber, gut zwischen den alten Mauern versteckt, ein modernes Toilettenhaus mit warmen Duschen in der Dorfmitte. Das Abwasser wird durch einen 5000-Liter-Behälter und einen Filter auf ein etwas höher gelegenes Sickerfeld gepumpt. Diese Anlage war eines der ersten Projekte, die wir nach dem Anschluss an das Stromnetz 1994 in Angriff genommen haben. Das hat auch damit zu tun, dass unsere Gäste ebenso wie wir älter werden und für ein paar Annehmlichkeiten dankbar sind.

Die Straße, die von Mons nach Bardou heraufführt, ist eine kommunale Straße. Sie wurde im Jahr 1924 gebaut, nachdem das Gros der Einheimischen bereits weggegangen war. Um die Einwohner hier zu halten, kam sie zu spät. "Jetzt", so hieß es damals, "können wir wenigstens unsere Möbel mitnehmen." Da sie nicht genutzt wurde, vergammelte die Straße in den fünfziger und sechziger Jahren soweit, dass sie schließlich unbenutzbar wurde. Wir mussten sie erst von Felsen und Gestrüpp säubern, damit wir sie als Fahrweg benutzen konnten. Aber auch dann blieb sie für die meisten Fahrzeuge eine Zumutung und kein Lieferant wollte zu uns nach Bardou herauf fahren. Die großen Balken für die Dachstühle, von denen jeder 100 bis 120 kg wog, habe ich auf dem Dachträger meines VW-Busses heraufgebracht. Der Zustand der Straße verursachte entsprechende Erschütterungen, so dass ich einmal hier oben mit eingedrücktem Dach – aber mit drei Balken – ankam. Danach transportierte ich jeweils nur noch einen einzigen Balken. Zwei Drittel der Straße – bis zum Staudamm – wurden schon 1969 asphaltiert, die letzten 1400 Meter blieben allerdings bis in die späten achtziger Jahre eine Schotterpiste.

Wer sich von Anfang an nicht scheute, regelmäßig zu uns herauf zu kommen, war Marius Vidal, der Postbote, aus Mons. Er brachte die Post in der ersten Zeit zu Fuß herauf, dafür bekam er zwei Stunden vergütet. Diese Form der Postzustellung zu den Bergdörfern war durchaus üblich, auch nach Héric wurde die Post zu Fuß ausgetragen. Später kaufte sich Monsieur Vidal auf seine eigenen Kosten ein Motorrad, seine zwei Arbeitsstunden bekam er weiter vergütet. Am Ende seiner Laufbahn, kurz vor der Pensionierung, stellte man ihm dann ein gelbes Postauto zur Verfügung. Seinem Nachfolger hatten wir später einen Streit mit der Post zu verdanken: Er fuhr wie ein Wilder die Straße herauf, so dass es nicht lange dauerte, bis das Auto kaputt ging. Die Folge war, dass die Post die Zustellung einstellte, was ich aber keinesfalls hinnehmen konnte. Die Gemeinde stellte sich auf den Standpunkt, sie hätte kein Geld für den Ausbau der Straße. Es war die selbe Argumentation wie bei der Stromleitung. Ich ging vor Gericht und erreichte, dass die Straße wenigstens so weit in Stand gesetzt wurde, dass die schlimmsten Löcher zu waren und die Post wieder angeliefert wurde.
         
Am 20. Juli 2009 ist Klaus Erhardt nach längerer schwerer Krankheit in seinem Haus in Bardou verstorben. Die Zukunft des Dorfes liegt in den Händen seiner Witwe Jean und der nachfolgenden Generation.
         
Diese Seite drucken