Aus der Schreibwerkstatt (Januar 2008)

Ausschnitt 2 aus einem Text mit dem Arbeitstitel "Der Sterber"







(...)

Bronski fuhr los, in Richtung auf sein Zuhause. Während der Fahrt ließ er in sich Bilder des bevorstehenden letzten Abends aufblühen. Er ging in Gedanken den Inhalt seines Kühlschranks und seiner Vorratskammer durch, wusste jedoch gleich, dass das wenig Zweck hatte: außer etwas Butter, Marmelade, einem halben Paket Knäckebrot und ein paar schrumpeligen Äpfeln würde er dort kaum etwas Verwertbares vorfinden. Mit leichter Beschämung dachte er daran, dass er sich seit Monaten keine warme Mahlzeit mehr bereitet hatte.

Als er neben der Straße ein Hinweisschild auf einen großen Lebensmittelmarkt sah, beschloss er Halt zu machen und sich hier mit Material für den Abend zu versorgen. Der Markt war einer jener Komplexe, die in ihrer Werbung gerne als Einkaufsparadies firmierten, bei Bronski allerdings meist ein Schwindelgefühl hervorriefen, da er in den weitläufigen Hallen und Gängen gewöhnlich leicht die Übersicht verlor und sich hilflos fühlte. Dieses Mal aber kam ihm das Ausmaß des Geschäfts, das eine beträchtliche Reichhaltigkeit versprach, gerade recht. Er musste keine Orientierung mehr gewinnen, keine Ziele mehr verfolgen außer einem einzigen. Als er am Eingang ein dezentes und doch unübersehbares Schild sah: Dieser Betrieb wurde landesweit zum bestgeführten Supermarkt des Jahres gewählt: Vielfalt und Qualität im Angebot, Kompetenz und freundlicher Service erwarten Sie, da war ihm, als ob ihm gewissermaßen doch noch eine Begleitung auf seinem letzten Gang zuteil würde, und er gratulierte sich zu diesem glücklichen Zufall. Nun konnte er seinen tollkühnen Phantasien freien Lauf lassen. An der Fleischtheke, die er sogleich ansteuerte, lachte ihn ein Tablett mit frisch aufgeschnittenem Schweinebauch an, aufs anregendste dekoriert, und er kaufte zwei Pfund davon. Dem luftgetrockneten spanischen Wildschweinschinken konnte er ebenso wenig widerstehen wie der Trüffelsalami aus der Toskana. Dazu ließ er sich drei massive Hammelkoteletts einpacken. Bronski liebte den kräftigen Geschmack von Hammelfleisch und zog ihn dem von jungem Lamm bei weitem vor. Hammel brauchte zwar deutlich länger zum Garen, aber das spielte heute keine Rolle. Im Gegenteil, dieser Umstand kam ihm sogar entgegen, denn er beabsichtigte, sich eine Reihe von Gängen zuzubereiten, und so konnte er, während die Koteletts brieten, sich den anderen Speisen zuwenden. Zu dumm, dass er kaum Vorräte im Haus hatte, er musste also jetzt eine Menge Dinge kaufen, die er, wenn sein Vorhaben so verlief, wie er es sich ausmalte, nie mehr verbrauchen würde. Das war nun leider nicht zu ändern. Er wählte eine Flasche Olivenöl von der Riviera und als Essig einen ausgereiften echten Aceto Balsamico aus Modena, packte ein Netz mehlig kochender Kartoffeln, ein Pfund Zwiebeln und eine Knoblauchknolle in den Einkaufswagen und überlegte, was er an Gewürzen brauchen würde: Thymian und Rosmarin zum Hammel, Chilischoten und Ingwer zur Schweinepfanne, Majoran und Lorbeer zur Kartoffelsuppe. Salz und Pfeffer würde er wohl zuhause noch finden. Einen Kopf Weißkohl wollte er mitnehmen und grüne Bohnen. Bohnenkraut? Nein, das hatte er nie recht gemocht. Reis durfte er nicht vergessen: Er suchte und fand edlen Bio-Basmati vom Fuß des Himalaja.

In Bronski erwachte auf einmal die alte Kochleidenschaft, die so lange von seiner übergroßen Trägheit niedergehalten worden war. Die Küche im Anschluss an die bevorstehende Kochorgie sauberzumachen sollte in diesem Fall für ihn kein Thema mehr sein. Für den Salat wählte er zwei dicke Chicoreesprosse und eine rote Paprikaschote, dazu zwei Mandarinen. Was wollte er trinken? Weißbier hatte er im Keller, ein halbdunkles Hefeweizen, das er manchmal von einer kleinen Landbrauerei im Niederbayrischen mitbrachte, aber das würde nicht reichen. Er steuerte die Wein- und Spirituosenabteilung an und entdeckte als erstes einen exquisiten Grappa, an dem er nicht vorbeigehen konnte, außerdem einen Marillenschnaps aus der Wachau sowie eine Flasche irischen Whiskey, dessen grünes Etikett ihm vage bekannt vorkam. Er fand einen wunderbar tiefgoldgelben südfranzösischen Muscat – in deutschen Supermärkten eine absolute Rarität –, den er als Aperitif zu genießen gedachte, und zum Hammel einen seltenen 1990er Saint Emilion, dessen zwei Flaschen, die er in seinen Korb lud, ihn dreimal so viel kosteten wie der gesamte restliche Einkauf. Bronski bedauert sehr, diesen phantastisch bestückten Laden erst jetzt aufgespürt zu haben. Er wandte sich der Käsetheke zu und wählte für eine kleine Käseplatte, die er seinem Menü folgen lassen wollte, seinen Lieblingskäse, einen Blauschimmel aus der Gascogne, für den er jeden Gorgonzola und sogar Roquefort stehen ließ. Dazu noch – neben einem fein duftenden alten Comté – einen kleinen Saint-Marcellin und ein paar frische Feigen. Ein Glas trockener schwarzer Oliven nach griechischer Art, ein Fläschchen süßer Balinesischer Sojasauce, eine Dose Gänseleberpastete aus der Auvergne, zwei geräucherte Forellen, ein Baguette, ein Glas körnige Gemüsebrühe, eine Familienpackung Gourmet-Vanilleeis mit Schokoladenraspeln, Walnüssen und Karamellcreme sowie ein Becher Schlagrahm vervollständigten Bronskis Beutezug. An der Kasse erstand er noch zwei gebührend teure Zigarren, obwohl er sich sagte, dass eine sicher auch genug wäre, wenn er überhaupt soweit käme. Aber er wollte auf gar keinen Fall in eine Lage geraten, in der ihm irgendetwas zuwenig wäre oder gar fehlte. Auch eine Zeitung nahm er mit, es würde ein langer Abend werden. Er ächzte vor Anstrengung, als er die schweren Tüten aus dem Einkaufswagen in den Kofferraum seines Autos lud, er atmete heftig, ihm brach der Schweiß aus und er musste ein paar Minuten ruhen, bevor er den Heimweg antreten konnte.

Nachdem Bronski den Einkauf mühsam in seine Wohnung verfrachtet hatte, ließ er sich auf das Sofa fallen und goss sich ein Glas von dem Whiskey ein. Es war früh, er konnte sich mit den Kochvorbereitungen noch Zeit lassen. Sein Blick schweifte in der Wohnung umher. Saubermachen wäre angebracht, fand er, es würde ihm ein besseres Gefühl verschaffen. Gleich machte er sich daran, diesen Impuls in die Tat umzusetzen. Mitgerissen von seinem endzeitlichen Schwung saugte er Staub, wischte den Fußboden und brachte sein Arbeitszimmer in Ordnung. Die Küche sparte er aus, sie war durch ihre seltene Benutzung ohnehin in einem passablen Zustand. Später müsste er sie jemand anderem überlassen.

Noch einmal ließ er sich mit einem Glas Whiskey auf dem Sofa nieder, bevor er ans Werk ging. Er wollte diesen Augenblick in vollem Bewusstsein durchleben: Sehr bald, sagte er sich, werde ich tot sein.


*


Bronski war sich undeutlich bewusst, dass die Idee, die er auszuführen sich nun anschickte, nicht unbedingt originell war. Ihm fiel ein, dass es vor langer Zeit einen recht bekannten Film gegeben hatte, in dem sich ein paar Freunde zu Tode fraßen. Schemenhaft erinnerte er sich an einige Szenen und daran, dass er den Film damals irgendwie ordinär und geschmacklos gefunden hatte. Nie mehr seitdem hatte er an diesen bizarren Streifen gedacht, bis er ihm nun in der Küche, während er die Lebensmittel auspackte, wieder in den Sinn kam. Mit einem gewissen Bedauern dachte er kurz daran, wie es wäre, jetzt diese Mahlzeit mit anderen zu teilen. Es hätte von ihm aus irgendjemand sein können, aber er wollte nicht noch einmal die ganze Liste der Rechtfertigungen durchgehen, die ihn letztendlich zu diesem einsamen Mahl geführt hatten. Und wer hätte mit ihm schon gemeinsam Selbstmord begehen wollen? Wiederum zuckte er zusammen, als dieser Begriff in ihm auftauchte, wischte aber das sich zusammenballende Unbehagen gleich wieder weg. Er bereitete sich ein ausgedehntes Mahl, das war alles. Und er war allein und handelte in vollem Bewusstsein. Basta. Überdies hatte er sich lange genug des Alleinlebens erfreut und war durchaus in der Lage, auch diesen Abend ohne Gesellschaft zu genießen.

Bronskis Küche verfügte über einen absolut professionellen Standard. Vom fünfflammigen Gasherd mit stufenlos regelbarer Dunstabsauganlage über ein vielteiliges Edelstahl-Topfset bis zu einem exquisiten Messer- und Kleingerätgerätesortiment war alles vorhanden, was sich ein Koch nur wünschen konnte. Trübsinnig registrierte er, dass dieses Wunderwerk moderner Technik so gut wie unbenutzt war. Außer zum Kaffeekochen oder zur Zubereitung gelegentlicher schneller, mitternächtlicher Happen hatte er hier seit Jahren nicht mehr gewirkt. Nun sollte die Küche zu ihrem großen, wenn auch letzten Einsatz kommen.

Bevor Bronski endgültig ans Werk ging, traf er noch einige Maßnahmen. Als erstes entkorkte er die beiden Rotweinflaschen und stellte sie in Reichweite seines Esstischs. Sodann ging er zum Telefon, schlug im Telefonbuch die Nummer der Notfallambulanz des nächstgelegenen Krankenhauses nach und tippte sie in den Rufnummernspeicher für die Kurzwahlen – freie Plätze gab es genug –, bevor er das Telefon ebenfalls in Tischnähe aufstellte. Er wollte in diesem Punkt keine Fahrlässigkeit begehen. Im entscheidenden Moment noch den Telefonhörer abzunehmen und einen Knopf zu drücken, das traute er sich allemal zu. Ein Herzanfall raubte seinem Opfer nicht augenblicklich die Besinnung, das hatte er des öfteren gehört. Mit seiner Wohnungstür sollte es ebenfalls kein Problem geben, da sie noch aus alten Zeiten stammte und er einfach das Absperren unterlassen musste, um den Sanitätern den Zutritt zur Wohnung zu ermöglichen.

Nachdem er diese vorbereitenden Schritte erledigt und alles noch einmal überprüft hatte, ging Bronski in die Küche und machte sich an die Arbeit. Er setzte einen großen Topf mit Kartoffeln auf und gab zwei Lorbeerblätter ins Kochwasser. Anschließend filetierte er die Forellen, danach schnitt er die Hälfte der Salami auf, säbelte einen Berg hauchdünner Scheiben von dem Wildschweinschinken ab, öffnete die Dose mit der Leberpastete und richtete alles zusammen mit den Oliven auf einer großen runden Platte zu einem anregenden Hors d’œuvre an. Neben seinen Teller stellte er eine Kerze, die er aus der untersten Schublade seines Küchenschranks hervorgeholt hatte, auf den Esstisch und zündete sie an. Etwas Festlichkeit wollte er sich doch gönnen. Dann öffnete er den Muscat, schenkte sich ein kleines Glas davon ein und brach einige Stücke von dem Baguette ab. Erwartungsfroh und voller Behagen genoss Bronski den ersten Gang seiner Henkersmahlzeit.

Ein weiteres Gläschen des vorzüglichen Muscats beendete die Vorspeise, den Whiskey nahm er mit in die Küche. Er atmete etwas schwer. Nach der französisch-mediterranen Art des Entrees wollte er sich eine deutsche Kartoffelsuppe nach Hausmannsart zubereiten, danach das Schweinefleisch und den Kohl nach fernöstlicher Weise, bevor er sich wieder der französischen Küche zuzuwenden gedachte. Eine Mischung der Stile, die Bronski seinen Kunden auf gar keinen Fall hätte durchgehen lassen, aber in diesem Fall musste er keinerlei Regeln beachten außer seinen eigenen Vorlieben und konnte sich der Speisekarten der Welt bedienen, ohne Rücksicht darauf, ob sich das so gehörte oder nicht.

An welche Stelle seiner unkonventionellen Menüfolge sollte er den Salat setzen? Bronski beschloss, ihn etwas nach hinten zu schieben und unmittelbar vor den Hammelkoteletts zu genießen. Er sah nach den Kartoffeln, die inzwischen gar waren. Er goss das Kochwasser ab, nahm einen Teil der heißen Kartoffeln, zog vorsichtig, um sich nicht die Finger zu verbrennen, die Schale ab und würfelte sie grob. Dann schnitt er ein Dutzend kleine Streifen von dem Schweinebauch ab, nahm einen Suppentopf und briet sie in ein paar Tropfen Öl darin an. Er gab die Kartoffeln dazu, goss soviel Wasser an, wie er glaubte, Suppe essen zu können, und fügte etwas Gemüsebrühe und ein Lorbeerblatt hinzu, wobei er es zutiefst bedauerte, dass er keine echte, frische Fleisch- oder Gemüsebrühe zur Verfügung hatte. Gekörnte Brühe war in seinen Augen ein Stilbruch, aber daran war jetzt nichts zu ändern. Er ließ die Suppe aufkochen, würzte sie mit Majoran und Pfeffer und kippte zuletzt noch einen guten Schuss von dem Rahm hinein.

Bronski nahm einen großen Suppenteller aus seinem Schrank, schöpfte ihn sich randvoll und setzte sich wieder an den Esstisch. Als er den Teller geleert hatte, füllte er ihn ein zweites Mal. Trotz Herzschmerzen und Atemnot war er wohlgestimmt. Er zündete sich eine Zigarette an und ließ die Vorspeisen sich etwas setzen, bevor er in die Küche zurück ging. Er nahm seine große gusseiserne Pfanne, die einst sein ganzer Stolz gewesen war, und bereitete sie für den übernächsten Gang vor, indem er Olivenöl und die restlichen Zwiebeln hineingab und die Hammelkoteletts dazu legte. Dann stellte er die Pfanne beiseite. Als nächstes putzte er die Bohnen und setzte sie zum Kochen auf. Er schnitt den halben Weißkohl in fingerbreite Streifen und vier Scheiben des Schweinebauchs in kleine Stücke, nachdem er aus ihnen die Knöchelchen gelöst und die Schwarte abgeschnitten hatte. Die Schwarte legte er, ebenfalls in kleine Stückchen geschnitten, in eine kleinere Pfanne, röstete sie auf Vorder- und Rückseite knusprig braun und streute noch etwas Salz darauf. Anschließend setzte er einen Topf mit Reis auf. In einer dritten Pfanne erhitzte er etwas Öl und gab die Schweinebauchstückchen hinein. Für die Art der Zubereitung, die er nun in Angriff nahm, hatte sich Bronski immer einen Wok gewünscht, aber jetzt war es zu spät dafür, die Pfanne musste genügen. Er schnitt noch eine fünfte Scheibe klein, nachdem er die Menge des Fleisches, das im Öl zu brutzeln anfing, abschätzend gemustert hatte. Er hackte vier Knoblauchzehen, zwei große Zwiebeln und einige Chilischoten klein, stellte die Hälfte der Zwiebeln und des Knoblauchs beiseite und gab den Rest davon in die Pfanne, und als das Fleisch knusprig braun zu werden begann und die ersten Rauchfäden aufstiegen, löschte er das Ganze mit einer halben Tasse Sojasauce ab. Er nahm die Ingwerwurzel und rieb mit einer kleinen Reibe eine Prise davon über das Gericht. Er musste noch etwas Wasser angießen, gab die Weißkohlstreifen dazu, rührte kurz in der Pfanne, dann drehte er die Flamme ab. Den Reistopf nahm er ebenfalls vom Feuer, nahm den Deckel ab und ließ ihn noch kurz offen stehen. Nachdem der Reis ganz abgetrocknet war, drehte Bronski die Flamme unter der Fleisch-Kohl-Pfanne wieder an und ließ alles noch einmal kurz aufköcheln. Dann füllte er sich aus dem Reistopf eine gute Portion auf einen Teller, häufte soviel Fleisch und Kohl aus der Pfanne dazu, wie der Teller fassen konnte und goss die Sauce darüber. Da zu chinesischem Essen nach Bronskis Meinung am besten ein Bier passte, schenkte er sich ein Glas Weißbier ein.

Darauf widmete er sich mit großem Genuss dem dritten Gang. Er war nun nicht mehr so sicher, ob die chinesische Pfanne sich wirklich mit der Kartoffelsuppe vertragen würde, aber nun hatte das Menü seinen Lauf genommen, und im Grunde störte ihn die Disharmonie auch nicht sehr. Er aß langsam und bedächtig, knabberte dazu die delikat gebratenen Schwartenstückchen und erreichte, nachdem er seinen Teller zum zweiten Mal gefüllt und wieder geleert hatte, jenes wohltuende Stadium des Magendrückens, das er so schätzte. Um dieses Gefühl richtig auszukosten, lud er sich den Rest des köstlichen Basmatireises auf den Teller und löffelte den Rest der Sauce dazu aus der Pfanne. Sie war ihm, obwohl er doch einigermaßen außer Übung war, perfekt gelungen. Sein Herz hüpfte – vor Freude, wie ihm schien –, und als er sich nach der Chinapfanne zum zweiten Bier eine weitere Zigarette anzündete, quietschte seine Lunge leise.

Er ließ sich nun etwas mehr Zeit. Er packte die Käse sorgfältig aus, sein Blick fiel auf ein steinhartes Stück Parmesan ganz hinten im Kühlschrank, Jahrzehnte alt, wie es aussah, und ihm fiel partout nicht mehr ein, aus welcher Episode seines Lebens es stammen könnte. Er holte es achselzuckend hervor, zögerte etwas, dann tat er es zu den übrigen Käsesorten und den Feigen, die er appetitlich auf einer Platte anrichtete, um sie für den Abschluss seiner Mahlzeit bereit zu stellen. Jetzt sollte der Saint Emilion trinkbereit sein. Bronski holte aus seinem Schrank eines der kostbaren Kristallgläser, die er noch aus der gemeinsamen Zeit mit seiner Frau besaß, und da er sie seither nie mehr benutzt hatte, musste er das Glas zuerst gründlich spülen, bevor er es füllte.

Der Wein war prachtvoll. Bronski schenkte sein Glas ein zweites Mal voll und blieb noch eine Weile am Tisch sitzen, bevor er, leicht schwankend, in die Küche ging, um den Salat anzurichten. Er schnitt den Chicoree in fingerdicke Streifen, entfernte die bitteren Strünke und gab ihn zusammen mit der kleingeschnittenen roten Paprika und den Mandarinenstückchen in eine Salatschüssel. Obendrauf kippte er ein Dutzend von den schwarzen Oliven und übergoss die farbenfrohe Zusammenstellung mit Olivenöl und Balsamico. Weitere Gewürze duldete Bronski grundsätzlich nicht im Salat. Inzwischen waren die restlichen Kartoffeln genügend abgekühlt, er schälte sie und schnitt sie in Scheiben. Er nahm die Pfanne mit den Hammelkoteletts, stellte sie auf eine der Gasflammen, salzte und pfefferte das Fleisch, würzte mit Rosmarin, Thymian, Knoblauch und Chili und genoss voller Vorfreude den satten, kräftigen Duft, der nun durch die Küche zog. Sollte er das Fleisch wirklich mit dem sündteueren Saint Emilion ablöschen? Es blieb ihm keine Wahl, da er sonst keinen passenden Wein im Haus hatte, und er tröstete sich damit, dass er ja noch eine weitere Flasche hatte. Dann gab er die Kartoffeln zum Hammelfleisch in die Pfanne, angesichts seines Magenfüllstandes ließ er allerdings einige übrig, das Fleisch war ihm wichtiger. Er salzte noch etwas nach, nahm dann die Bohnen aus dem Wasser, richtete sie zusammen mit den Koteletts und den Kartoffeln auf einem großen Teller an und goss die Sauce aus der Pfanne darüber.

Mit einem schweren Seufzer ließ sich Bronski am Esstisch nieder, der Stuhl ächzte auf. Er atmete einmal tief durch, dann machte er sich daran, den bunten Salat und die Hammelkoteletts samt Beilagen bedächtig aufzuessen. Köstlich, keine Frage. Sein Magen blähte sich, und sein Herz schien allmählich an dem Punkt angelangt, wo es seinen Dienst einzustellen drohte. Bronski war zufrieden. Er keuchte und leerte schweißgebadet langsam und systematisch seinen Teller.

Als er – aufs äußerste erschöpft – das Besteck beiseite legte, war die zweite Flasche Saint Emilion zur Hälfte geleert, und Bronski gelüstete es nach einem Schnaps. Der Hammel war richtig fett gewesen. Er holte den Marillenschnaps und ein Wasserglas, öffnete die Flasche, schnupperte mit Wohlbehagen daran, goss das Glas halbvoll und leerte es in einem Zug.

Er brauchte jetzt dringend eine Pause, der Käse und das Eis mussten warten. Bronski schleppte sich zum Sofa, wo Zigarren und die Zeitung bereitlagen, und ließ sich schnaufend fallen. Er griff sich das Blatt und suchte in alter Gewohnheit nach den Todesanzeigen. Viele waren es am heutigen Tag, und mehr Hinterbliebene als sonst hatten ein Motto zum Gedenken an ihre Verstorbenen in die Annonce setzen lassen. Eine kleine Anzeige trug ein sehr schönes Zitat von Hermann Hesse, das Bronski melancholisch werden ließ: Einschlafen dürfen, wann man müde war, und eine Last fallen lassen dürfen, die man sehr lange getragen hatte, war gut. Ach ja, alles fallen lassen, einschlafen und nie wieder aufwachen, das war es, was er sich so sehr wünschte, und er war zuversichtlich, diesem Ziel nicht mehr fern zu sein.

(...)



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